Sonntag, 2. Februar 2014

"denn wer eine Angel hat, hat auch immer Fische." Oh, wie schön ist Panama.

Fast fünf Monate liegt es jetzt zurück, dass ich an meinem ersten Arbeitstag zehn Minuten zu spät erschien, da mich mein Orientierungssinn mal wieder im Stich lies. Herzlichst wenig beeindruckt von meinem panischen Versuch mich zu entschuldigen, wurde ich mit "zu spät? das habe ich gar nicht gemerkt." empfangen.

18 Jahre meines Lebens habe ich in einer wohl behüteten schwäbischen Metropole verbracht. Wenn ich an dieser Stelle von "Metropole" spreche, meine ich das nicht ironisch, wie manch ein Provinzneider meinen könnte, sondern spreche ein Wort aus, das auf vielschichtige Weise Stuttgart genau als das bezeichnet, was es ist.
Beginnen wir mit dem persönlichen, emotionalen Aspekt der "Metropole Stuttgart": Das Wort leitet sich vom griechischen "mētrópolis" = "Mutterstadt" ab. Da ich vor ziemlich genau 19 Jahren und einem Monat in einer Entbindungsstation der Baden-Württembergischen Landeshauptstadt zur Welt gekommen bin (die heute ein Altenheim ist) und durch die Tatsache, dass ich einen wichtigen (?) Beitrag für Europa leiste und Eure Steuergelder in Islands angeschlagene Wirtschaft verfrachte, gehöre ich wohl zu den Töchtern der Stadt und kann in Grönemeyer'scher Manier singen: "Stuttgart, ich komm aus dir!"

Jedoch ist mir in Reykjavik klar geworden, dass der Metropolencharakter Stuttgarts größer ist als dass man ihn auf der emotionalen Ebene belassen könnte. 
"größer": Stuttgart beherbergt ca. 600.000 Einwohner in seinem grünen Kessel, was ziemlich genau fünf Mal Reykjavik ist. Und das merkt man. "Hi Typ, der im Museum arbeitet." - "Ah, hallo, Mutter aus dem Kindergarten, ich wusste gar nicht, dass du auch in Bar Paloma feiern gehst." - "Stimmt. Ihr seid ja verwandt..." und "Hallo Björk!"
Ab und an fühle ich fast ein wenig isländischen Kaff-Flair, wenn sonntags der erste Bus um 12 Uhr fährt und wenn der Bürgermeister-Junge über den Zaun in den Kindergarten klettert.

Nun muss neben der Größe einer Stadt natürlich auch ihre raumwissenschaftliche Bedeutung untersucht werden. Denn eine Metropole beinhaltet bestimmte Metropolfunktionien, die " auf einen großen räumlichen oder sachlichen Versorgungs-, Einzugs-, Zuständigkeits- oder Kontrollbereich ausstrahlen und daher einen hohen Rang in der Städtehierarchie einnehmen" Diese können in historischer, kultureller, politischer oder wirtschaftlicher Hinsicht für eine Region relevant sein. Im Vergleich zu meiner jetzigen "Heimatstadt" ist meine Mutterstadt überhaupt irgendwie für irgendwas ein wenig relevant gewesen. An dieser Stelle denke man bitte an die Weißenhofsiedlung, an Bosch, an die Fantastischen Vier, an die Söhne der Stadt Hegel, Willi Baumeister, Graf von Stauffenberg. 
Reykjavik ist im Gesamtzusammenhang wohl eher eine Patropole, wenn ich diesen Neologismus als Gegenteil für das Wort "Metropole" in der deutschen Sprache etablieren darf. Kulturell sollte Reykjaviks Titel der "UNESCO Literaturstadt" nicht verschwiegen werden, doch im selben Atemzug bitte ich die Macher der Internetseite des Nordhauses, in dem (anscheinend) ab und an Lesungen stattfinden, auf einen aktuelleren Stand als 2012 zu bringen. Ich möchte ebenso ein großes Lob an das Konzerthaus Harpa aussprechen, das sowohl kulturell, als auch architektonisch einiges zu bieten hat und möchte aber ebenso ein wenig die fehlende Bautradition in Island beweinen. Ich danke Reykjavik dafür, dass ich für einen Jahresbeitrag von nicht mal 20 Euro alle großen Ausstellungen in der Stadt besichtigen darf und rüge aber gleichzeitig den Kurator im Reykjavik Artmuseum, der das wohl nicht ganz verstanden hat, dass die Raumwahl bei manchen Kunstwerken doch nicht ganz irrelevant ist. (Warum durchbricht eine Säule das Werk?!)
Wirtschaftlich bleibt es dann bei Fisch und Bananen. Ja, Bananen! (http://www.grapevine.is/Home/ReadArticle/The-Mythical-Banana-Kingdom-Of-Iceland-    http://en.wikipedia.org/wiki/Banana_production_in_Iceland)

Überdies würde ich auf die politischen Ebene meiner Patropole zu sprechen kommen.
Mich zieht es wohl von einer Revoluzzerstadt in die nächste. In Stuttgart erinnern wir uns an einen Bahnhof, an Wutbürger und an einen revolutionären rot-grünen Schritt nach fünfzig Jahren Kehrwoche. 
Im Vergleich dazu möchte ich einen kurzen Auszug aus dem Wahlprogramm meines Nachbarn, dem amtierenden Bürgermeister Reykjaviks präsentieren: 1. offene statt heimlich Korruption 2. kostenlose Handtücher für alle Schwimmbäder 3. Ein Eisbär für Reykjaviks Zoo.
Was die Politik im Kleineren betrifft, habe ich neulich auf der Büroeinweihungsfeier einer Studentenbewegung einen Isländer gefragt, für was er sich denn dort eigentlich engagieren würde. Seine Antwort war: "Weißt du, in Island gibt es nur zwei Studentenorganisationen, die genau das gleiche Programm haben. Bei den Wahlen entscheidet dann, wer die bessere Party hatte und wo es mehr Freibier gab. Ich engagiere mich, weil mein bester Freund hier ist und wir dann zusammen immer aufs Land fahren und wir dort dann ein ganzes Wochenende trinken können." Nun, wenn das mal kein Grund um politisch aktiv zu werden!

18 Jahre verbrachte ich in einer deutschen Metropole, in einer Region, die für Sparsamkeit und Fleiß steht und habe aufgrund eines fehlenden Vergleiches geglaubt, dass "deutsche Pünktlichkeit und Arbeitsmoral" nur internationale Vorurteile sind. Als mein spanischer Mitbewohner, der in den ersten zwei Monaten jeden Tag mindestens 40 Minuten zur spät zur Arbeit erschien, mir dann aber tatsächlich nicht glauben wollte, dass ich mir meine Ausgaben notierte und mir daraufhin "Spontanität" erklärte, verlies mein slowakischer Mitbewohner nur den Raum mit den Worten "Ihr repräsentiert die Stereotypen Deutschland und Spanien für den Freiwilligendienst und die Slowakei sagt dazu nur Gute Nacht." Dass man Dinge ernst nimmt, pünktlich erscheint und alles nach Recht und Ordnung verläuft, war für mich bisher selbstverständlich. 
Dass dem vielleicht nur in Deutschland so ist, stellte ich fest, als mich eine Isländerin ganz aufgebracht fragte, ob das denn stimmen würde, dass man in Deutschland sein Geld zurückbekommt, wenn die Bahn Verspätung hat. Ich glaube das war tatsächlich das erste Mal in meinem Leben, dass ich jemanden von der Deutschen Bahn habe schwärmen hören. 
Ich habe mich mittlerweile daran gewöhnt, dass Läden manchmal schließen, weil der Besitzer noch verkatert ist, dass das vegetarische Essen, dass man sich bestellt hat, verdächtig nach Fleisch schmeckt, dass der Bus manchmal einfach nicht kommt und der Busfahrer dafür aber auch Menschen ohne Busticket von der Straße aufsammelt und sagt: "Das Busunternehmen verliert sowieso jedes Jahr 100.000de Kronen, weil keiner für ein Ticket zahlt, also steigt ein!" Und manchmal hören Firmen auf zu existieren "Es gibt keine Biomilch mehr in Island. Der Bauer liefert nicht mehr." oder "Euer Internet funktioniert seit drei Stunden nicht? Ich ruf mal bei der Firma an und frage, ob sie gerade pleite gegangen sind!"

Mir stellt sich die Frage nach kulturellen Käfigen in einer globalen Welt und doch glaube ich für meinen Teil hier ein wenig deutsche Kleinkariertheit abgelegt zu haben. Ich schreibe jetzt nur noch Beschwerdebriefe an Firmen, von denen ich mir gratis Produkte als Entschädigung für meine unerfüllten Erwartungen erhoffe. 
Und morgen früh werde ich erst um "fünf nach" zur Arbeit erscheinen. 





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