"What do you say when a volunteer dies?" - "he youthpassed away."
Ich befinde mich auf einem Seminar, das ich besuchen muss. Das steht zumindest in meinem Vertrag. In meinem Vertrag steht aber nicht, was passiert, wenn ich dieses Seminar nicht besucht hätte. Um ehrlich zu sein würde ich gerne wissen was passiert wäre.
Wahrscheinlich ist der Absatz "der Freiwillige ist dazu verpflichtet das Mid Term Training zu besuchen" mit der pädagogisch wertvollen Methode des "Ich zähle bis Drei" zu vergleichen. Ist jemals etwas Unerwartetes passiert, wenn eine Person mit Bildungsauftrag bis Drei gezählt hat? Hat sich die Welt geändert, ist die Situation kollabiert oder der Erdmagnetismus ausser Kontrolle geraten?
Dass nochmals aufs Neue wiederholt wird, dass man eigentlich hätte etwas tun, bzw. nicht tun sollen, ist jetzt wahrlich nichts derart Aufregendes, dass man dafür über eine kleine Vollkommenheit hinweg einen Spannungsbogen aufbauen müsste. Wiederholungen sind doch eigentlich eher langweilig. Darin liegt die kleine Ironie des Bis drei Zählens. Wahrscheinlich also hätte Europa bis drei gezählt und ich hätte Mails von Beauftragten der Beauftragten erhalten, die mich an meine Pflichten als Freiwillige erinnert hätten, doch letztlich gäbe es außer dem Eintreten von Langeweile keine weitere Interaktion.
Vielleicht aber wäre Europa interveniert. Die Staatsanwaltschaft hätte Anklage gegen mich erhoben und ich hätte für fünf Jahre eine Haftstrafe wegen Steuerhinterziehung und Vertragsbuch antreten müssen. Doch bevor das alles hätte passieren können, hätte ich mich schon längst selbst angezeigt und Europa würde ganz schön blöd aus der Wäsche schauen. Das ganze wäre zwar etwas aufwendig gewesen, aber ich hätte weder das Seminar, noch die Haftstrafe antreten müssen.
Ich habe festgestellt, dass ich kein großer Freund von Seminaren bin. Zumindest nicht von Seminaren dieser Art. Zur Visualisierung: Es sitzen sechzehn - juristisch gesehen - erwachsene Menschen in einem Stuhlkreis und starren an eine Wand, an der ein Plakat hängt, dass mit bunten Post-It's veranschaulichen soll, wie der Ablauf des gerade begonnen Tages für diese jungen Menschen aussehen wird. Damit aber die visuelle mit der auditiven Ebene verknüpft wird, stehen zwei etwas übermotivierte Trainer neben dem großen Stück Zellulose und erklären in einem ernsten Tonfall jeden einzelnen Schritt und lesen - für den Fall, dass eine Minderheit der Analphabeten präsent sein sollte - die einzelnen Tageszeiten immer abwechselnd vor.
Ich kann nicht sagen, was genau der Inhalt des Seminars zwischen Kaffeepause I und II sein soll, aber so wie ich das verstanden habe, ist das eigentlich auch nicht allzu relevant, denn wichtig ist, dass jeder sich selbst findet, im Einklang mit der Welt lebt und inspirierende Gemeinschaft erfährt.
Meine Gedanken kreisen um wirre Verschwörungstheorien, in denen ich Europa als eine gehirnwaschende Sekte sehe, die junge Menschen versucht zu begeistern, indem sie Geld. Kaffee und "gute Laune" fließen lässt. Die ganze Veranstaltung wird für mich immer grotesker, denn Sarkasmus wird als Täuschungsmittel bewusst eingesetzt, um mich zu verwirren.
Anstatt, dass ich - als Kritikerin "moderner 'Lernmethoden'" (ich kann gar nicht genug Anführungsstriche setzen!) - aufgefordert werde mich am Seminar zu beteiligen, werde ich in einem erzwungenen höflichen Ton darauf "aufmerksam gemacht", dass dies hier "ein Angebot" ist, um mir zu helfen und dass ich "herzlich willkommen bin" dies anzunehmen. "Freut mich", antworte ich und lehne dieses Angebot dankend ab, um mich wieder wichtigeren Dingen wie Häkeln oder Schlafen zu widmen.
Ich muss einer Gruppe von Menschen, die ich teilweise erst zwei Mal in meinem Leben gesehen habe, von den Momenten in den vergangenen fünf Monaten erzählen, die mich den höheren Sinn der Welt haben erkennen lassen und alle sollen merken, wie sehr ich doch gewachsen bin. Auch wenn ich niemanden frage, bekomme ich Ratschläge für meine Zukunft und mein Herz schreit nur: "ja, ja, bitte mehr lustige Kennenlernspiele!"
Es gibt eine extra "Session", in der erklärt wird, wie wir unsere informalen Lernerlebnisse als Kernkompetenzen in einem (oho!) Zertifikat präzise formulieren können, damit unser zukünftiger Arbeitgeber aus unseren Soft Skills schöpfen kann. Um aus dem Musterbogen des sogenannten "Youth Pass" zu zitieren, könnte Lisa Mustermann zum Beispiel schreiben: "Während meinem Aufenthalt als Freiwillige habe ich unter anderem gelernt mit modernen Medien umzugehen und weiß nun wie ich mit meinem Freunden über Skype in Kontakt bleiben kann. Dies habe ich mir selbst beigebracht und somit meine Kompetenz der Selbstständigkeit weiter ausgebaut."
Um es freundlich auszudrücken, liebe Macher des Youthpasses und liebe Lisa Mustermann, wäre ich ein Arbeitgeber, würde ich neben die schöne Umschreibung der Soft Skills mit einem roten Stift schreiben: "Es ist nur sehr schade, dass durch das Erlernen all deiner Kompetenzen deine Intelligenz leider auf der Strecke geblieben ist, denn sonst würdest du wissen, dass es in der heutigen Zeit keine Kunst mehr ist eine Webcam zu benutzen."
Schön waren vor allem die Momente, in denen wir uns alle all die Probleme aller anhören mussten, Entschuldigung, "durften". Ich weiß ja - bei allem Respekt - nicht genau, was die Erwartungen einzelner Menschen waren (obwohl wir auch das ausführlich bearbeitet haben), aber wenn man sich beschwert, dass man "nur als Arbeitskraft" angesehen wird, haben entweder die anderen Freiwilligen oder ich etwas an dem Wort "Arbeit" falsch verstanden. Denn üblicherweise ist man eine Arbeitskraft, wenn man (freiwillig) arbeitet und stellt nicht die Verbindung zur Weltharmonie in Form eines jungen Menschen dar. Als sich herausstellte, dass viele der Meckernden ihrerseits aber niemals versucht haben in höherer Instanz Konsequenzen zu ziehen, wurde der Anwesenden der Nationalagentur der Wunsch nahegelegt, sich doch etwas mehr um die Freiwilligen zu kümmern, weil einige Freiwillige wohl etwas zu schüchtern seien, um Probleme mit Ihren Verantwortlichen zu besprechen. In diesem Moment wurde auch ich ein Teil der Sekte, ja, auch ich hatte ein informelles Lernerlebnis und schrieb auf das Arbeitsblatt, das den Fluss meiner Entwicklung darstellte unter die Zeile "Ziele für die Zukunft": "Niemals mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen zusammenarbeiten. Sich für mehr Frontalunterricht einsetzen. Larifari verbieten und am Montag einen Kuchen für die Arbeit backen, um danke zu sagen, dass ich eine Arbeitskraft sein darf, die gebraucht wird."
d.h. ich bekomme morgen Kuchen?
AntwortenLöschenSchau mal in der Küche neben der Kaffeemaschine! Da steht eine Schüssel mit Schokolade!
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