Samstag, 3. Mai 2014

Von Steckenpferden und Stockfischen

Irgendwann letzten Sommer hatte ich auf einem Flohmarkt ein Buch mit dem Titel "Lexikon der aussterbenden Wörter" erstanden mit dem festen Vorsatz diese Worte in meinen aktiven Sprachgebrauch einfließen zu lassen. Geblieben sind lediglich die Worte "Aküfi" (Abkürzungsfimmel), "Backfisch" (junges Mädchen) und "Krawallbrause" (Bier) und einige wundervolle Stunden geheimer Lektüre im Deutschunterricht.

Neulich wurde ich über die Herkunft des Wortes "Hobby" aufgeklärt. Das ursprüngliche Wort "hobby-horse" bezeichnete zunächst ein Pony, sowie auch ein Spielzeug, das deutsche "Steckenpferd", was bereits im frühen 16. Jahrhundert gebräuchlich war. Das "Steckenpferd" übernahm schließlich die Zweitbedeutung "Lieblingsbeschäftigung" 1763 durch die Romanübersetzung des "Tristam Shandy" und wird als Synonym für das eingedeutschte "Hobby" verwendet.
Das "Hobby", bzw. das "Steckenpferd" ist eine Beschäftigung, die dem Ausgleich der täglichen Arbeit dient und mit "einem gewissen Eifer [betrieben wird]" (Vgl. Duden).

Nun ja.
Ponys sind nicht meine Steckenpferde. Der Versuch ein Islandpferd zu reiten war womöglich ein wenig zu viel des "gewissen Eifers" und endete für mich mit einer leichten Gehirnerschütterung.
Und von Ausgeglichenheit möchte ich erst überhaupt nicht anfangen.
Die Frage "Was machst du in deiner Freizeit?" ist mir unangenehm geworden. Zu Schulzeiten war ich es gewohnt eine Liste an Dingen aufzuzählen. Da wusste man, wer man war, wo man dazugehörte, wie man sich zu verhalten hatte, denn die Steckenpferde geben eine Laufrichtung vor, der zu einem bestimmten Grad gefolgt wird, wenn man sich dafür entscheidet sich in den Sattel zu setzen. Ich reite nur noch selten auf meinen Steckenpferden. Laufrichtung "Musikerin", "Öko" oder "Organisatorin von Dingen" funktionieren nur noch teils oder überhaupt nicht mehr.
In anderen Quellen heißt es "Hobbys" repräsentieren einen Teil der Identität. Das heißt... Oh je, mine! Existiere ich nun überhaupt noch? Kann ich noch wahrgenommen werden in der Generation XY?

Mein Freiwilligendienst setzt auf informale Lernkenntnisse. Eine ganze Menge junger Erwachsene werden inspiriert, finden sich selbst und verbreiten spirituelle Liebe.
Zu Beginn bin ich auf dieser Welle mitgeschwommen: "Spürst du sie auch, die Energie?"
Mittlerweile muss ich mich dafür rechtfertigen nicht alles "amazing" zu finden. Ich nenne es Anspruch, die anderen Pessimismus.
Eine Mitfreiwillige hat eines regnerischen Islandtages zu mir gesagt: "Du bist vielleicht zu normal für diese Gruppe." Auch das noch! In Zeiten der Selbstdarstellung!
In was bin ich hier hineingeraten? Julia - die Durchschnittsbürgerin. Eine von den Deutschen hier, eine von den Jüngsten hier, eine von diesen, die manchmal Dinge blöd findet und eine, die nicht mal einer Richtung angehört.
Ich brauche schnell einen Marketingberater! Das lässt sich doch bestimmt noch alles geradebiegen.
Ich schreibe ein Buch "Das Durchschnittsleben", halte Lesungen mit dem Titel "zufriedenes Nichtwahrgenommenwerden in Zeiten moderner Medien" und täusche vor das alles wäre von Relevanz und ich Vorreiter einer Herde Steckenpferde.

"Think out of the box!" schreien die inspirierten Freiwilligen und "no borders, no nations", während mir bei einem Internationalen Dinner vorgehalten wird "eine, von diesen zu sein". Vor lauter Engstirnigkeit im Tunnelblick gefangen, sag mal, ist das die Sonne am Horizont?


...


"Take it out of the box!" sage ich und suche irgendeine Ordnung zwischen Umzugskartons, Müdigkeit und diesem sogenannten "Besitz", den ich mir hier in acht Monaten angesammelt habe.
Ich krame zwischen Kochbüchern, Strumpfhosen und Briefen von zu Hause und finde tatsächlich: Ein Steckenpferd!
"Umzüge sind doch unser Hobby", scherzt meine (ehemalige) Mitbewohnerin, während ich etwas verzweifelt meinen elften Kaffee trinke und die Stauballergie auf meinen Händen betrachte.
Die dritte Wohnung in der zweiten Stadt in acht Monaten.
"Ein Glück, dass ich nur noch zwei Mal umziehen werde dieses Jahr", sage ich und lege mich auf den Fußboden unserer leeren Wohnung, in der es fürchterlich zieht, da die Türen ausgehängt wurden.
Bereits zum Frühstück waren die Handwerker gekommen. "Wir nehmen jetzt alles mit. Auch diesen Stuhl, steh bitte auf."

Es war nie mein zu Hause gewesen in der Wohnung über meinem Kindergarten, in der ich die letzten vier Monate mit meiner Arbeitskollegin/Mitbewohnerin/Gastmama verbracht habe, aber es hat sich so angefühlt. Außer das, was jetzt in Kisten vor uns stand, hatten wir nichts hier besessen. Die Wohnung war Eigentum eines Jemanden aus den Niederlanden, die Möbel zur Verfügung gestellt von... ja, von wem eigentlich? und selbst der Krempel in der Abstellkammer wurde an diesem Morgen noch von meinem Chef abgeholt.
Bis um zwei Uhr nachts schrubbten wir und sortierten Müll aus. Als die Wohnung dann verlassen und nach Ajax roch, stellte ich fest, dass sie leer zum einen sehr groß und zum anderen sehr traurig erschien.
Nach vier Stunden Schlaf auf dem Fußboden der ausgeräumten Wohnung strich ich schließlich die Temperaturangabe "geeignet bis zu -3°C" auf meinem Schlafsack durch und schrieb daneben "aber trotzdem verdammt ungemütlich".

In meinem neuen Zuhause gibt es Berge als Ausblick vor dem Fenster, eine Badewanne anstatt der Fehlkonstruktion von Dusche in der alten Wohnung, deren Abfluss einzig zum Überfluten des Küchenbodens diente, eine Spülmaschine und die größte Plattensammlung Islands.
Mein Zimmer gehörte einer 29jährigen Freiwilligen, die zurück nach Hause wollte.
Irgendwie musste ich schmunzeln. Eben diese hatte mir erzählt, dass dieses "normale Wege gehen" nichts für sie sei. "Geregeltes Leben war nie was für mich. Immer was neues ausprobieren, sehen was der Tag so bringt." Denn: So ist das in dieser Zeit. Du bist ein unspontaner Spießer, wenn du einen Terminkalender hast und dir To Do Listen schreibst, um Ordnung in deinem Lebenssystem zu halten.

"sehen was der Tag so bringt...." murmelte ich zu mir selbst, während ich meine Teesorten nach Farbe sortierte. "Hoffentlich Kaffee..."
Ich fand eine Instantsuppe zwischen Tomatenkonserven und Cornflakes in der Kiste mit der Aufschrift "Küche" und freute mich heute Pulver für mich zu kochen. Ich zertrat den Umzugskarton und merkte, dass ich das System heute auch nicht ändern würde, denn dazu war ich zu müde.
Und obendrein noch ein Spießer! Julia - die Durchschnittsbürgerin, die nicht abstritt, dass geregeltes Leben des Öfteren eine gute Sache ist, die sich lieber vom Tag holte, was sie wollte, als zu sehen, was er brachte und die sich freute zumindest für die nächsten vier Monate zu wissen, dass es vorerst nicht mehr notwenig sein würde den Schlafsack auszupacken.
Ich stopfte den Umzugskarton in die überfüllte Recyclingtonne und freute mich, dass es in der Schublade, in die ich hineingeraten war, eine Spülmaschine und eine Badewanne gab.







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