„Es
la cobra“ - „TAKA TAKA“, ruft die ganze Band im Chor. Mario
streift sich ein dunkles T-Shirt mit Schlangenprint über und zieht
sein iPhone aus der Hosentasche. „Taka takaa takaa takka taka taka“
Héctor schaut auf den kleinen Bildschirm in Marios Hand und lacht
herzhaft über den Mann in Bademantel, der sich eine Socke über die
Hand gestülpt hat und sie wie eine Kobra zu seinem wirren
Sprechgesang kreisen lässt. „Das hat mir Mario gestern gezeigt,
als ich nicht schlafen konnte“, sagt Héctor. Die Cobra Taka Taka
wird uns die nächste Zeit begleiten. Manchmal spricht Mario den Text
vor bis zu der Stelle, an der die Kobra aus einem Schwimmbecken
kommt. „De una piscina“, brüllt Julia dann. Es sind die einzigen
Worte, die sie auf Spanisch sagen kann.
Ob
ich noch einen Kaffee möchte, fragt Julia. „Och, warum nicht“,
sage ich. Julia setzt den Espressomaker auf den Induktionsherd. Mario
schüttelt den Kopf und steckt sein Handy wieder ein. „Das ist doch
sicher dein fünfter Kaffee heute.“ - Julia zählt. „Nein, der
vierte! Und etwas müde bin ich immer noch.“ Mario erwidert mit
erneutem Kopfschütteln „Du hast Probleme, Julia. Anämie!“
Es
ist Anfang August. Girls on Bikes haben sich in der Heimatstadt der
Brüder Héctor und Mario in der Region Asturias, im Norden Spaniens
getroffen, um mit befreundeten Musikern aufzunehmen. In Asturias
seien einige der schönsten Strände Spaniens zu finden, heißt es.
Das Klima und die Landschaft unterscheiden sich stark vom Rest des
Landes. „Jeden Tag regnet es hier mindestens einmal“, sagt Mario.
„Aber nie so richtig. Das ist noch weniger als Nieselregen. Man
nennt den Regen orbayu. Deshalb
ist es hier auch so grün.“ Von der schönen Landschaft und den
Stränden ist in dieser Kleinstadt jedoch nicht allzu viel zu sehen.
Las Vegas heißt der Ort mit knapp 8.000 Einwohnern, der größtenteils
aus Betonblöcken und Rentnern besteht. „Beste Straße“, sagt
Mario, als wir in eine verlassene Seitengasse gehen, um zum
Supermarkt zu laufen. Er zeigt auf ein zerfallenes Haus, dessen
Dachfenster von einem Banner ZU VERKAUFEN verdeckt werden.
„Bandimmobilien“, sagt er und lacht. Julia möchte sich im
Supermarkt noch eine Flasche Wasser kaufen, weil ihr das lokale
Leitungswasser nicht allzu gut bekommt. „Bestes Quellwasser!“,
sagt Héctor „nach einer Woche schmeckst du das Chlor gar nicht
mehr. Von Bakterien kann man sterben, von Chemie nicht.“ Wir
überqueren die Straße. Mario bleibt vor einem Schaufenster mit
Damenklamotten stehen. „Eh, das musst du bei unserem Auftritt
anziehen.“ Er zeigt auf ein weißes Kleid im 60er Jahre Stil mit
großen, gelben Punkten. „Und wir beide schwarz. Ich natürlich mit
Kobrashirt.“ „TAKA TAKA“, sagt Julia und schüttelt den Kopf.
„Wir können abstimmen“, sagt Héctor „wir sind eine
demokratische Band. Auch wenn ich das Sagen habe.“ Héctor und
Mario heben die Hand. „Zwei gegen Eins. Dann gehörst du auch
endlich dazu. Du hast ein Kleid aus dem Block.“ Mario rüttelt an
der Tür. Der Laden hat wegen Urlaub geschlossen.
Ob
ich auch ein Schluck Wasser möchte, fragt Julia. „Oder einen
Kaffee?“ Mario zwinkert. Nein, danke, aber wie sich die Band
gefunden hat, würde ich gerne wissen.
Julia:
„Übers Internet. Héctor hat Musiker im Raum Heidelberg auf
quoka gesucht. Ich habe mich auf die Anzeige gemeldet. Mario hat bei
der ersten Probe damals noch nicht so gut Deutsch gesprochen. Er
fragte mich was ich studiere. Ich sagte ich sei Jurastudentin.
Daraufhin antwortete er: „das macht nichts.“ Was er eigentlich
meinte, wissen wir bis heute nicht, aber es war die richtige
Antwort.“ (lacht)
Héctor:
„Momentan suchen wir noch
einem Schlagzeuger. Aber über das Internet machen wir das bestimmt
nicht nochmal. Auf solche Bandgesuche melden sich nur Verrückte. Und
Julia.“
Mario:
„Davor hatten sich nur
Metal-Bands gemeldet, obwohl Héctor als Einflüsse Metronomy und St.
Vincent angegeben hatte. Einmal meldete sich ein Mike aus Kirchheim,
dem Stadtteil in Heidelberg, in dem Héctor wohnt. Wir dachten Mike
ist der Verkäufer aus dem Edeka, aber er war es leider nicht. Mike
hat Héctor ins Kirchheimer Stüble eingeladen, eine verrauchte
Kneipe für Altrocker, in der man nur Bier bestellen kann. Er hat für
Héctor extra Instantkaffee organisiert, weil er „auf einen Kaffee
treffen“ wörtlich genommen hatte. Leider hat es musikalisch doch
nicht gepasst.“
Héctor:
(lacht) „Das ist
jetzt fast neun Monate her. Kurz darauf hat sich Julia gemeldet.
Zusammen haben wir fast 15 Songs geschrieben. Dafür, dass wir nicht
immer zusammen proben können und uns nur einmal die Woche treffen,
ist das ganz gut“
Mario:
„Aber fertig sind die
noch nicht alle. Vor allem müssen wir noch die Texte lernen.“
Julia:
„Und wenn wir sie nicht
lernen, ist auch nicht so schlimm. Songtexte in der Popmusik werden
sowieso überbewertet. Wenn die Musik schlecht ist, helfen dir gute
Texte auch nicht weiter.“
Héctor:
„Die Texte hat Julia fast alle an einem Abend geschrieben. Sie
schrieb mir auf Facebook, ob ihr die letzten Demos schicken kann.
Eine halbe Stunde später bekam ich Textdokumente für drei Songs.
Bis Mitternacht waren alle Texte fertig.“
Julia:
„In dieser Band bin ich keine
Songwriterin. Ich übersetze nur, was im Probenraum entsteht. Jeder
singt irgendetwas vor sich hin, das klingt als wäre es Englisch. Ich
übersetze es in Sätze, die grammatikalisch zumindest nicht komplett
daneben sind.“
Héctor:
„Einmal haben wir uns eine Songidee angehört, auf der wir
dreistimmig gesungen haben. Jeder hat andere Worte verwendet, doch
beim Anhören haben wir alle das Gleiche verstanden: Economy Island.“
Mario:
(singt)
It's you. You'll never be the best. (Héctor und Julia
steigen ein) It's you, babe, slow down. It's you. You know you'll
never find economy island.
Julia:
„Das ist vielleicht unser
bester Song. Kritik an der Leistungsgesellschaft.“
Héctor:
„Tatsächlich. Bisher
hat keiner von uns die Wirtschaftsinsel gefunden.“ (lacht)
Mario:
„Temazo!“ (was so
viel bedeutet wie „Hit“)
Ich
begleite die Band in Marios altes Zimmer. In Deutschland ist Mario
nicht bei jeder Probe dabei. Héctor und Julia studieren in
Heidelberg. Mario wohnt im 60 km entfernten Darmstadt und muss noch
einen Deutschkurs belegen, um sein Master in Deutschland machen zu
dürfen. Umso mehr möchte die Band die Zeit in Spanien nutzen, um
die Songs gemeinsam zu proben. Zwischen Fußballplakaten und
Kinderfotos kramt Mario in einer Netto-Tüte voller Kabel, während
Héctor seine Pedale in einen Rucksack räumt. Julia sortiert einen
Stapel Songtexte. Die Band bereitet sich auf ihren ersten Auftritt
vor. Sie spielen heute Abend in der Bar eines Freundes im
nahegelegenen Oviedo.
Héctor:
„Kennst du den Film Vicky
Christina Barcelona von Woody Allen? Den haben Julia und ich gestern
angeschaut. Ein Teil davon wurde in Avilés gedreht. Das ist die
nächste große Stadt hier. Als gedreht wurde, war die ganze Stadt
auf den Beinen, um die Stars zu sehen. Der Film spielt in Oviedo, in
der Stadt in der wir heute spielen. Das Hotel, in dem die beiden
Protagonistinnen wohnen, ist das einzige richtige Hotel in Oviedo.
Woody Allen hat gesagt, falls er jemals in Rente gehen sollte, setzt
er sich in Oviedo zur Ruhe. Er liebt diese Stadt. Die haben ihm sogar
ein Denkmal gebaut.“
Mario
nimmt die Nettotüte in seine rechte, einen kleinen Verstärker in
seine linke Hand und macht sich samt Gitarre auf dem Rücken als
erster auf dem Weg zum Auto.
Mario:
„Wir müssen heute mit unseren alten Instrumenten spielen. Und ohne
Mikrofone. Und ohne Schlagzeuger. Zumindest bekommen wir einen guten
Bass ausgeliehen in der Bar.“
Julia
quetscht sich zwischen zwei Gitarren auf die Rückbank und gibt einen
Laut von sich, der bestätigt: Trotz ozeanischem Klima ist das Auto
ziemlich warm.
Héctor:
„Oh schön! Bandsauna.“
Eine
knappe halbe Stunde fährt man von Las Vegas nach Oviedo.
Héctor:
„Wir spielen heute im
Café Paraiso. Paraiso – so heißt auch die Straße. Es ist die
letzte Straße im Ausgehviertel. Dann kommt dort nicht mehr viel.
Bevor Colino dort seine Bar vor drei Jahren eröffnet hat, war dort
nichts. Es war die Pinkelstraße.“
Vorm
Café Paraiso hilft Colino Héctor und Julia das Equipment zu tragen,
während Mario nach einem Parkplatz sucht. Colino, der einen Bart im
Gesicht trägt, von dem Männer der Hipster-Generation nur träumen,
heißt eigentlich Jésus, wird von seinen Freunden aber nur beim
Nachnamen gerufen. Er ist Bassist der Band Autotan und ein guter
Freund von Héctor. Die beiden haben damals zusammen gewohnt und
gemeinsam in einer Band gespielt.
Conlino:
„Héctor! Que tal? Schön dich zu sehen. Das ist also deine neue
Band. Was macht ihr für Musik?“
Héctor:
„Wir sind eine Pop-Band. Aber falls du Werbung für uns machen
willst, sag einfach wir sind voll 80er. Das kam bisher immer gut an.“
Colino
tippt etwas in sein Smartphone und drückt seine Zigarette aus. Seine
zweite, seitdem wir angekommen sind.
Colino:
„Ok! Girls on Bikes! Ihr habt Euch die richtige Location
ausgesucht.“ Er zwinkert.
Unschwer
kann man im Café Paraiso Colinos Leidenschaft erkennen: Rennräder.
Neben der Eingangstür am Fenster, das mit einer modernen Grafik
versehen ist, stehen drei Fixies, an der italienischen Kaffeemaschine
kleben Fotos von berühmten Rennradfahrern. Héctor zeigt auf ein
Gesicht: „Das war ein berühmter Radfahrer aus der Region. Der ist
an Drogen gestorben.“ Colino kippt den Aschenbecher in den
Mülleimer und beginnt die Tische zu wischen, Mario entwirrt die
Kabel aus der Netto-Tüte.
Colino:
„Als ich die Bar eröffnet
habe, hatte ich weder Ahnung von Kaffee, noch davon, wie man eine Bar
führt. Das ist die spanische Mentalität. Wir planen das nicht so
wie bei Euch in Deutschland. Man macht einfach mal und meistens geht
es daneben. (lacht) – (zu Héctor) oh
übrigens, wir können nicht mit Pablo aufnehmen. Der dreht gerade
ein Video für seine Band Pablo und Destruktion und spielt dann noch
auf einem Festival im Süden.“
Julia:
„Ich dachte wir sind zum
Aufnehmen hier her gekommen?“
Héctor:
„Ja, so ist das. Kann man
nichts machen.“
Colino:
(zu Julia) „In Spanien
sagt man: Es todo lo mismo. Es ist alles das Gleiche. Das solltest du
dir merken!“
Vor
der Bar bleiben zwei Mädchen stehen und suchen das Fenster nach den
Öffnungszeiten ab.
Colino:
„Kommt rein! Oder kommt
später. Da spielt eine coole Band.“
Die
Mädchen sollten wieder kommen. Als zwei von zwölf Gästen, um den
ersten Gig von Girls on Bikes zu sehen. Am lautesten klatscht die
Mutter von Héctor und Mario. Es ist unschwer zu erkennen, dass sie
mit mindestens einem Mitglied der Band verwandt ist. Der erste Song
ist Sofia (Never too far away). Er
ist der besten Freundin von Julia gewidmet, die sie vor zwei Jahren
in Island kennengelernt hat. Eine Österreicherin, die diesen Sommer
in Wien ihr Schauspielstudium beginnt und die Band mit qualifizierten
Kommentaren auf Facebook unterstützt. Man spürt die Anspannung des
ersten Gigs. Mit alten Instrumenten. Ohne Mikrofone. Ohne
Schlagzeuger. Blätter mit Textnotizen liegen auf dem Boden. Die Band
hat sich in einer Ecke des Raumes zwischen zwei Lampen
zusammengesetzt, von der nur eine angeschaltet ist. Mario singt mit
geschlossenen Augen. „Der hätte lieber mit Sonnenbrille spielen
sollen“, flüstert mir Colino zu „und Julia singt zu leise.“
Doch die Mehrstimmigkeit sitzt. Julia singt eine tiefe Frauenstimme,
Héctor eine hohe Männerstimme. Mario singt eine Art Tenor der
Popmusik. Man kann den Einfluss von Wild Beasts in seinem Gesang
deutlich hören. Die Menschen klatschen. Die Band entspannt sich.
Julia greift zur Akustikgitarre, Mario und Héctor tauschen Bass und
E-Gitarre. I don't know what it is that you never find,
what you're searching for. Auch
wenn die Band sich gerne als „voll 80er!“ verkauft, erinnert das
Intro und die Harmonien im Gesang eher an einen Song, der zwanzig
Jahre zuvor in den 60es geschrieben wurde. Nach Now I feel,
einem Song mit beachtlicher
Kopfstimme im Refrain und The Hunter and the Hide,
was die Band selbst nur „traurigen Song“ nennt, schließt Mario
vier Pedale an seinen Bass an. Er macht laute Geräusche. Mit vielen
Effekten. Héctors Gitarre setzt ein. Würde die Band nicht in einer
kleinen Bar in Oviedo , sondern auf einem größeren Festival
spielen, wäre das der richtige Einstieg. Atmosphäre – Atmosphäre
– Mädchen mit Blumenkränzen in den Haaren schließen die Augen
und werfen die Arme in die Luft. Die zweite Gitarre setzt ein, ein
Dreinotenriff, die Masse jubelt. - Pause – Die Masse jubelt weiter.
„It's you. You'll never be the best“ - „It's you,
babe, slow down.“ - „It's you“ - „You know you'll never find
-“ und die Masse brüllt:
„Economy Island!“ Gitarrensolo.
Mädchen mit Blumenkränzen in den Haaren schließen die Augen und
werfen die Arme in die Luft.
„Nächstes
Jahr bewerben wir uns als Newcomer Band beim Maifeld Derby.
Vielleicht wird es dann genau so sein“, sagt Julia nach dem Gig.
Ein
beleibter, älterer Herr kommt auf Héctor zu und wechselt ein paar
Sätze auf Spanisch mit ihm, bevor er Richtung Tür geht und der
gesamten Band nochmals zunickt. „Das war ein Schriftsteller aus
Avilés“, sagt Héctor „er mag unsere Musik. Es erinnert ihn an
irgendwelche Bands.“ - „Was für Bands?“ - „Keine Ahnung.
Ich habe gesagt wir zählen sie zu unseren Einflüssen. Es todo lo
mismo.“