Montag, 23. Dezember 2013

hello darkness, my old friend...

Vor einigen Monaten musste ich mal lange Aufsätze schreiben. 
Über alte Damen mit Kohlhasen, über KafkaKs' und darüber, ob ich finde, dass fiktive Gestalten Schuld an erfundenen Problemen haben.
Das liegt jetzt schon eine ganze Weile zurück. Oder mir kommt es zumindest so vor, denn seit drei Monaten sind die Hauptprobleme, mit denen ich mich rumschlage nicht Geraden und Kurvendiskussionen, sondern schräges Geschrei und "Jetzt ess doch nur einen Löffel"- Diskussionen; 
es ist weniger der deutsche Sonderweg, an dem ich büffle, sondern eher der stürmische Nachhauseweg gegen den Wind auf einer 5cm Eisschicht, der mir zu schaffen macht. 

Die Menschen hier schlagen sich mit Worten rum, mit Pinseln und mit Gitarren. Das ist vielleicht der einzige Ausbruch, neben den Vulkanen, der hier ein wenig die Ruhe stört, die zur Zeit kitschig-weihnachtlich glitzert.
Hier sind die Schlagzeilen der Titelseite manchmal "Hund musste lange in der Kälte auf seinen Besitzer warten." (wer gerade den Kopf schüttelt: http://www.mbl.is/greinasafn/innskraning/?redirect=%2Fgreinasafn%2Fgrein%2F1477623%2F%3Ft%3D506079195&page_name=article&grein_id=1477623)
Was umso mehr schockierte, war, dass vor einigen Wochen zum ersten Mal in der Geschichte des Landes die Kugel eines Polizisten einen Menschen tötete... die Welt steht Kopf!

Die Menschen, die mich kennen, wissen wahrscheinlich wie gerne ich mich in Rage rede, politisch werde und die Missstände der Welt anklage. Gott, verdammt! Die einzige politische Diskussion, die ich hier führe, ist wahrscheinlich die über die Versorgung der restlichen Überlebenden des Spülkrieges in der Küche. 

STILLE. Warum Menschen hier Inspiration suchen? 
Mal über das Wort "Inspiration" nachgedacht? - "Einhauchen von Leben, Seele, Geist". Die Luft ist hier sehr rein. Und voll mit Kreativität und Ideen. Und Geister gibt es hier genug. Auch in meinem Zimmer übrigens. Aber mittlerweile kommen wir gut miteinander klar. 
Ich habe hier auch Inspiration gefunden, hauche Ideen ein und wieder aus, in Form von Worten und wirren Installationen. 

Ich habe diesen Text begonnen mit den Aufsätzen, die ich mal schreiben musste und denke, dass nun der Zeitpunkt gekommen ist, um endlich mal Gebrauch von diesem Wissen der Textinterpretation zu machen:

Sound of Silence, Paul Simon, 1964

Hello darkness, my old friend
I've come to talk with you again
Because a vision softly creeping
Left its seeds while I was sleeping
And the vision that was planted in my brain
Still remains
Within the sound of silence

[...]

And in the naked light I saw
Ten thousand people, maybe more
People talking without speaking
People hearing without listening
People writing songs that voices never share
And no one dared
Disturb the sound of silence


Aufgabe: Erschließen und analysieren Sie den gegeben Textauszug. Gehen Sie bei Ihrer Interpretation insbesondere auf die Rolle Islands im Textzusammenhang ein.

"Aber er war aus der Stille, der Dämmerung, der Dunkelheit, welche ganz allein die reinen Produktionen begünstigen kann." Johann Wolfgang von Goethe. 

Die Tatsache, dass Stille und Dunkelheit den Menschen zu Reflektion und zu (künstlerischem) Schaffen anregt, war bereits Goethe bekannt. Doch auch in der modernen Popmusik wird Dunkelheit und Stille thematisiert, sowie häufig als Symbolik verwendet.
In Paul Simons' Text wird die Dunkelheit als Freund bezeichnet und somit personifiziert. Das lyrische Ich redet wieder (Vgl. "again" Z.2) mit seinem Freund Dunkelheit, was auf eine schwere psychische Störung, wie Schizophrenie oder Depression hinweist. Dies ist der erste Anhaltspunkt dafür, dass das lyrische Ich sich in Island befindet und zu wenig Vitamin D genommen hat. 
Eine Vision "kriecht" (Vgl. Z.3) sanft umher und keimt im Schlaf und fruchtet dann im Gehirn des Erzählers. Schleierhaft bleibt, ob die Vision im Kopf des lyrischen Ichs schleicht (womöglich durch die Krankheit bedingt), oder ob es die "umhergehende Vision" eine Metapher für die isländischen Geister ist.
Die Vision ist das, was "still remains" (Vgl. Z.6), also im Gegensatz zur menschlichen Existenz von ewiger Dauer ist. Im weitesten Sinne könnte man hier die Fortführung des klassischen "Memento mori" sehen und auf die Vergänglichkeit der Dinge und den Tod - der ebenfalls häufig mit Dunkelheit und Stille assoziiert wird - verweisen. 
wie jede Strophe endet der erste Abschnitt mit der Zeile "within the sound of Silence". Simon kreiert hier ein Paradoxon, doch viel mehr wendet hier das Stilmittel der Ironie an, da - wie jeder weiß - man Stille nicht hören kann.
Auch im letzten Abschnitt wird Ironie, ja, möchte fast sagen bitterböser Sarkasmus angewendet, denn das lyrische Ich "sieht im nackten Licht" (Z.8) "zehntausend Menschen oder sogar mehr" (Z.9). Erstens gibt es in Island kein Licht (von den zwei Stündchen täglich abgesehen) und zweitens ist es äußerst unwahrscheinlich zehntausend oder mehr Menschen an einem Ort zu treffen, da dies knappe 10% der gesamten Bevölkerung Reykjaviks darstellen würde. Die einzigen Orte, die für solch eine seltsame Begebenheit in Frage kommen könnten, wäre ein Konzert auf dem Iceland Airwaves Festival oder das Postoffice um Weihnachten herum. 
Da diese Menschen aber "reden ohne zu reden" und "hören ohne zu hören" (Vgl. Z.10) liegt die Vermutung nahe, dass diese Behauptung auch nur ein Hirngespinst des lyrischen Ichs oder ein weiteres Paradoxon der rhetorischen Stilmittel zur Liebe ist.
Weiter heißt es, dass die Menschen Lieder schreiben, die keiner singt, was sehr schade ist, da die Isländer sehr gut singen. Und mit Ihrem Singen oder Nichtsingen (?) die Stille stören.

Zusammenfassend möchte ich die (von der Musikgeschichte nicht gestützte) These aufstellen, dass Paul Simon 1964 einen Winter in Island verbracht hat und dort Inspiration gesucht hat. Das einzige, was aber, gestützt auf die Interpretation des gegebenen Textes, passierte, war, dass Paul Simon zu wenig Lysi trank und sich somit in eine schwere Psychose stürzte.


Und damit man sich das ganze etwas besser vorstellen kann: